30. Juni 2017 Eisleben
Heide ist heute den Himmelsscheibenradweg von Querfurt bis Aseleben am Süßen See gelaufen. Der Himmelsscheibenradweg verbindet den Fundort der Himmelsscheibe von Nebra mit ihrem Aufbewahrungsort, dem Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle. Die Scheibe wurde 1999 auf dem Mittelberg bei Nebra von Raubgräbern gefunden, und sie gelangte erst nach einem wahren Krimi von mehreren Jahren ins Landesmuseum.
Die Himmelsscheibe von Nebra ist eine kreisförmige Bronzeplatte so groß wie ein Suppenteller mit Applikationen aus Gold und stellt offenbar astronomische Phänomene und religiöse Symbole dar, ihr Alter wird auf 3700 bis 4100 Jahre geschätzt. Sie gilt als einer der wichtigsten archäologischen Funde aus der Bronzezeit sowie als die zweitälteste bewegliche Himmelsdarstellung.
Ich wundere mich immer über die vielen Zufälligkeiten, die natürlich keine sind, weil es das Fällige ist, das uns zufällt (Max Frisch), aber ein bisschen Staunen ist schon erlaubt. Weil wir hier kreuz und quer durchs Land reisen, kommen wir nahe Nebra vorbei, und ich erfahre erst jetzt von der faszinierenden Existenz der Himmelsscheibe. Die Sensationsmeldung von 1999 ist an mir vorbeigegangen.
Eigentlich mache ich täglich solche Entdeckungen: Verwunschene Plätze, an denen der genius loci hinter jedem Busch wispert; Aussichten über das Land, dass mir das Herz aufgeht und ich denke, wenn ich nun nicht hier säße und diese Pracht schaute, um wie viel ärmer wäre mein Leben; und dann Begegnung mit Menschen, wenn für ein paar Minuten eine Nähe entsteht, als würde man sich schon lange kennen. Max Frisch würde heute sicher gerne für das Prinzip Zufall eine quantenmechanische Erklärung akzeptieren: alles nichts weiter als „spukhafte Verschränkungen“ (Einstein).
Letztes Beispiel der Ort, an dem ich dies hier schreibe: Hätte ich mir je träumen lassen, dass ich mal in Aseleben am Süßen See unter sturmgepeitschten Wolken stehen und mir wünschen würde, mit der nächsten Bö über die weite Wasserfläche nach Eisleben zu fliegen (wenn ich schon nicht laufen kann wie Heide). Es gibt übrigens auch einen einen salzigen See. Als ich ihn passierte, roch es plötzlich wie an der Nordsee. Der Süße See ist größer. Er wird von einem Bach namens Böse Sieben gespeist. Wiki sagt dazu: „Der Süße See ist seit dem Trockenlegen des Salzigen Sees Ende des 19. Jahrhunderts das größte natürliche stehende Gewässer im Landkreis Mansfeld-Südharz. Anders als der Name angibt, ist das Seewasser wie bei den anderen noch bestehenden oder trockengelegten Mansfelder Seen salzig.“
Es ist für uns sehr leicht, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Unser Projekt bietet nahezu für jeden einen Anknüpfungspunkt: unsere Freundschaft seit über 45 Jahren, die Art unseres Reisens, Heides Laufen, mein Schreiben, also Sport oder Literatur – und dann unser Alter. Für das Thema Alter interessieren sich alle, und uns beide als überzeugende Repräsentantinnen eines neuen Bilds vom Alter, akzeptieren die meisten – bis auf gelegentliche Ausnahmen. Ältere Frauen auf den Dörfern in Kittelschürzen und vorgealterten Gesichtern reagieren manchmal, als hätten wir sie angegriffen. Das können wir gut verstehen und lenken das Gespräch schnell auf unverfängliche Themen wie das Wetter und die Frage, wie man Rosen ohne den Einsatz von Chemie läusefrei halten kann. Mit unseren ZuhörernInnen bekommen unsere Gespräche nach dem Vorlesen – angeregt durch die Themen, die in der BREITE DER ZEIT eine Rolle spielen – sehr oft psychotherapeutischen Charakter. Inzwischen habe ich gelernt, mich, wenn es mir dann zu ausufernd wird, elegant zu verabschieden.