TAG 35

14. Juli 2017 Lüneburg

Auf dem Wege nach Lüneburg mache ich in Dahlenburg Station, um auf Heide zu warten, die von Hitzacker aus auf dem Lüneburger-Heide-Radweg und dem Göhrde-Radweg unterwegs ist. Die B 216 von Hitzacker nach Lüneburg ist eine sehr schöne von Bäumen gesäumte Straße, die immer wieder wunderbare Ausblicke in die Landschaft gewährt. Wegen einer Umleitung, die westlich der Straße geführt wird (Heides Radweg läuft östlich), bog ich auf eine winzige Straße nach rechts ab – und fuhr wieder einmal mit großem Vergnügen durch die Pampa. Manchmal sah ich das Radweg-Zeichen und die Namen der Dörfchen und Flecken kamen mir bekannt vor. Pommoissel z. B. Heide hat sie mir am Morgen vorgelesen. Ich war also mindestens streckenweise auf ihrem Laufweg. Die Landschaft ist hinreißend. Leider stand die Sonne immer so, dass die Fotos zu dunkel wurden.

Dahlenburg ist auch so ein Ort, den ich nur kennenlerne, weil ich hier auf Heide warte. Aber hübsch. Um die Kirche versammelt sich alles, was ein Ort braucht, um zu funktionieren. Sogar Döner kann man sich hier schicken lassen. Und vom 2.7. bis 1.10. wird hier der „Dahlenburger Sommer“ veranstaltet – mit einer Oldie-Pop-Nacht, einem Flachsfest und einem Museumsfest im „Kunstraum Tosterglobe“, der sich als „Museum für Alles“ bezeichnet, und einem Kartoffelfest in Pommoissel.

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Unser Ziel heute ist Lüneburg. Heide hat hier studiert und freut sich darauf, die Stadt nach 49 (!) Jahren wiederzusehen. Wir haben heute ein großes Interview in der Lüneburger Landeszeitung mit Foto auf der ersten Seite und der schönen Überschrift „Liebeserklärung ans Alter“. ich freu mich auf die Lesung heute Abend im Alten Kaufhaus.

TAG 34

13 Juli  2017 Hitzacker

Doch noch was zum 34. Tag in Hitzacker, obwohl ich mich erst morgen von Lüneburg wieder melden wollte. Für drei Tage haben wir uns hier in einem Ferienhaus auf der Altstadtinsel ausgeruht.

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Alles sehr malerisch! Die kleine Altstadt, umflossen von der Jeetzel, die Fachwerkhäuser, das Kopfsteinpflaster, die hübschen Geschäfte und Gaststätten mit Elbeblick

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Aber leider hat uns das Wetter die Tage verdorben. Unser liebevoll eingerichtetes Häuschen war kalt und klamm. Bei Außentemperaturen von 14° und Dauerregen kam keine Gemütlichkeit auf. Erst mit einer Flasche Rum für den Tee wurde uns (vorübergehend) warm. Zwar hatten wir einen Kaminofen im Haus, aber nichts Brennbares. So etwas wie einen Baumarkt, wo wir ein Bündel Kaminholz  hätten kaufen können, gibt es auch erst in Dannenberg. Ich mache mich immer über all die passionierten Griller lustig, denen an schönen Sommerabenden nichts besseres einfällt, als angekohltes Fleisch in sich hineinzustopfen. Ich entschuldige mich ausdrücklich für alles Gehässige, das ich je über sie gesagt oder gedacht habe. Dank sei ihnen! Ohne ihre Leidenschaft hätte es bestimmt bei Lidl nicht ein derartiges Sortiment an Grillkohle gegeben. Ein 5-Kilo-Beutel Grillkohle heizte unsere Hütte mollig warm und vertrieb die Feuchtigkeit aus den Wänden. Heute kein Regen, und ein paar Mal (!) schien sogar die Sonne. 18° sagte das Thermometer. Über der Elbe hingen schwere Wolken, aber das passt zu der Flusslandschaft. Die Norddeutsche Schwere und Regenfeuchte hat uns endgültig erreicht, die südliche Leichtigkeit der ersten Reisewochen schon verklärte Vergangenheit.

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TAG 32/33/34

11. Juli 2017 Hitzacker

Heute Morgen haben wir noch ein Abschieds-Foto von Lüchow gemacht – am Leineweberin-Brunnen vor unserem Hotel. Die beiden jungen Weberinnen interessieren sich kurzfristig statt für ihr Leinen für ein aufgeschlagenes Buch, das natürlich kein anderes sein kann als DIE BREITE DER ZEIT.

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Und dann das Wendland! Ähnlich dünnbesiedelt wie die Oberpfalz fahre ich auch hier auf kleinen, einsamen Straßen–  von Rundling zu Rundling. Zwar fehlt die Sonne, aber auch unter dem typisch grauen Himmel Norddeutschlands ist die Landschaft von atemberaubender Schönheit. Besonders die Birkenalleen haben es mir angetan. Auf den Verkehr muss ich nicht achten, es gibt keinen. Ein Vorzeige-Rundling ist Lübeln. Das Dorf hat es verstanden, sich den Besucherandrang in den wenigen Tagen der Landpartie das ganze Jahr über zu erhalten. Es ist ein besonders gut erhaltener  Großrundling mit 12 Höfen vom 17. – 19. Jhd. Es gibt ein Museum, eine Schmiede, eine Stellmacherei und ein Backhaus, alles noch in Betrieb, und eine Gaststätte für die Touristen, die in Busladungen angeliefert werden.

Heide ist heute von Lüchow nach Dannenberg gelaufen, auf dem Radweg Grünes Band, der weitab von den großen Straßen in Schlaufen durch die reine Natur führt, und sie war auch begeistert vom Wendland. Ich bewundere ihren Mut und ihr Vertrauen, sich immer wieder auf solch ein Abenteuer einzulassen. Mut, weil sie in vollkommen fremder Umgebung ohne Navi ihren Weg finden, und Vertrauen, weil sie auf diesen Läufen, ganz auf sich gestellt, nur ihrer eigenen Kraft vertrauen muss.

In der Nähe von Lübeln stieß ich auf eine Heidelbeerplantage (ungespritzt). Die Büsche hingen so voll, dass ich mir in einer halben Stunde fast 1kg Beeren pflückte – die, die ich gleich in den Mund gesteckt habe, nicht mitgezählt. Inzwischen wagte die Sonne gelegentlich einen kurzen Auftritt, und in der Wärme und den aufsteigenden Düften der Pflanzen fühlte ich mich zurückversetzt  in die Sommer nach dem Krieg, als wir von den Erträgen des Gartens lebten. Ganze Sommernachmittage verbrachte ich zwischen den Büschen (Johannisbeeren und Stachelbeeren); dieses besinnlich-glückliche Geschäft des Pflückens und die Befriedigung, wenn sich die Körbe füllten, ist mir unvergesslich.

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Dannenberg ist genauso hübsch wie Lüchow, vielleicht ein wenig beschaulicher, und die historische Altstadt mit den vielen schönen Fachwerkhäusern wirkt geschlossener. Reste einer Burg Dammenberg zieren auch hier das Stadtbild. Einen Besuch ist Dannenberg allemal wert.

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Unübersehbar ist, dass das Wendland seine Geschichte mit der Atomkraft hat. Am Marktplatz in Dannenberg steht dieses Wegkreuz.

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Ich mache jetzt für 3 Tage Blog-Pause und melde mich am 14.7. aus Lüneburg zurück. 4 Tage später, am 18. Juli, ist unser Sommer-Abenteuer im Fährhaus Rothenhusen zu Ende.

 

 

TAG 31

10. Juli 2017 Lüchow 

Also Salzwedel ist wirklich einen Besuch wert. Wohin das Auge auch schweift – schöne Stadtansichten, Reihen von sehenswerten Häuserfassaden, romantische Gänge und Wasserläufe zwischen den Häusern, deren Namen wir aus der Karte nicht erschließen können. Auch die Anwohner, die wir fragten, waren sich nicht einig. Jeetze, Dumme oder nur ein Bach. Verwirrung stiftet auch die Jeetze und ihre Namensvetterin die Jeetzel. Die Jeetze fließt bei Wustrow in die Jeetzel. In Hitzacker werden wir eine Ferienwohnung haben, die direkt an der Jeetzel liegt.

Zwei bemerkenswerte Dinge noch über diese hübsche Stadt, erstens: Der Baumkuchen wurde hier erfunden und bis heute reklamieren zwei rivalisierende Bäckereien das Originalrezept für sich und zweitens: Abends um 9 liegen 95 % aller Salzwedeler in ihren Betten – keine Übertreibung, ist so.

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Heute ist ein Regentag. Norddeutsches Schmuddelwetter. Die leuchtenden Sommertage an der Altmühl und in der Oberpfalz scheinen viel länger als vier Wochen zurück zu liegen. Wir machen nach dem Frühstück noch einen letzten Spaziergang durch Salzwedel und kaufen Baumkuchen, der uns unseren Aufenthalt in Hitzacker versüßen soll. Dann läuft Heide trotz Nieselregen los, und ich steige ins Auto. Bei Lübbow passiere ich die ehemalige Grenze. Nur ein einsamer Wachturm in der Wiese und ein braunes Text-Schild am Straßenrand erinnern daran, dass hier vor 28 Jahren die Grenze zwischen Deutschland und Deutschland verlief. Ich mache in Wustrow Halt, um im Museum zeitgeschichtliche Dokumente zu sehen – aber wieder einmal ist Montag. Ich stehe vor verschlossenen Türen. Dafür erzählt mir die Mitarbeiterin der Volksbank (gleich nebenan) von Wustrow und was für ein lebendiger Ort das vor der Wende gewesen ist. Wer irgendwie kann, ist weggezogen.

In Lüchow – auch nur ein Städtchen mit knapp 10 000 Einwohnern – tobt das Leben. Viel Verkehr, viele schicke Shops in der hübschen Hauptstraße (keine Asia-Läden mit billigen Textilien mehr), viele gut angezogene Menschen. Heide sagt: „Es fühlt sich an, als käme ich aus dem Ausland nach Hause.“ In der Tat, so ähnlich ist das, und nur 17,7 km zwischen Salzwedel und Lüchow (über die B 248). Der Empfangschef im Hotel bestätigt mir diesen Eindruck. Aufgewachsen in Mecklenburg arbeitet er jetzt in Lüchow, wohnt aber im „Osten“. „Das sind zwei Welten“, sagt er. Ich ermuntere ihn, mir zu erklären, worin die Unterschiede bestehen. Er nennt vor allem zwei. 1. „Die Wessis“ (er sagt das mit Anführungsstrichen) seien lockererer, hätten mehr Spaß am Leben und mehr Vertrauen zu ihren Mitmenschen. 2. Das Geld. Der Osten sei noch immer ärmer. Eine Wohnung mit derselben Quadratmeteranzahl koste im Osten 200-300 € weniger. Das Geld spielt bestimmt eine große Rolle, das will ich ihm gerne glauben. Wir haben zwei große ehemalige DDR-Städte gesehen – Jena und Magdeburg – , über die man viel Positives sagen kann, aber der zarte Duft von Luxus, der mich heute in dem verregneten Lüchow anwehte, den habe ich dort nicht wahrgenommen.

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Lüchow ist die Kreisstadt des Landkreises Lüchow-Dannenberg. Sie hat viele hübsche Fachwerkhäuser, die Jeetzel fließt mitten durch die Stadt, und wenn man von der Hauptstraße in die Seitenstraßen schaut, tauchen dort die dekorativen Überreste des 1811 abgebrannten Lüchower Schlosses auf.

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Und dann ist Lüchow gewissermaßen die Hauptstadt des Wendlandes, insofern die unmittelbare Umgebung Lüchows zum Kernland zählt. Aber das Siedlungsgebiet der namensgebenden Wenden erstreckte sich einst auch weit über den heutigen Landkreis Lüchow-Dannenberg hinaus. Die Wenden waren, obwohl der Name sehr deutsch klingt, Slaven. Das merkt man noch an den Ortsnamen slawischen Ursprungs, die auf ow und itz enden, und an den slawischen Siedlungsformen, den Rundlingen. Für diese rund angelegten Dörfer ist das Wendland ja berühmt geworden.

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Ich glaube, ich habe vom Wendland zum ersten Mal in den 1970er Jahren gehört, als ich die Proteste gegen das Atommülllager Gorleben mit großer Anteilnahme verfolgte. Heute denke ich, wenn vom Wendland die Rede ist, zuerst an die „Kulturelle Landpartie (das größte Kulturfestival Norddeutschlands) die jedes Jahr zwischen Himmelfahrt und Pfingsten im Wendland stattfindet.

Noch ein Wort zu unserem Abschiedsbild heute Morgen in Salzwedel. Wir posieren da mit Friedrich Gartz, der in der Katharinenkirche dahinter gewirkt hat. Er lebte von 1819 bis 1896 und war Komponist und Kantor. In verschiedenen Liederbüchern finden sich Lieder von ihm.

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TAG 30

9. Juli 2017 Salzwedel

Wir sind früh von Klötze aufgebrochen. Alles an unserer Unterkunft in der „Alten Schmiede“ war in Ordnung, das Zimmer, die Betten, die Dusche (da kann man was erleben) und das Frühstück, das einzig Irritierende waren die „asiatischen“ Gerüche im Haus. Ich fühlte mich an Thailand erinnert. Tatsächlich war der Inhaber ein Vietnamese. Er erzählte mir, dass er noch die DDR miterlebt hat. Damit ist er der dritte Vietnamese, der uns in Sachsen-Anhalt begegnet ist, der schon über 30 Jahre im Land ist. Die beiden anderen hatten Textil-Läden. Gemeinsam ist ihnen, dass sie eine große Familie dabei haben und dass sie noch immer sehr schlecht deutsch sprechen – aber offenbar reichen auch so rudimentäre Sprachkenntnisse aus, um ein Geschäft zu betreiben. Dafür wachsen ihre Kinder in Deutschland auf und sprechen wie die Eingeborenen, die sie ja auch sind. Junge Deutsche mit zierlicher Statur, Mandelaugen und glänzend schwarzem Haarschopf.

Der Reporter am Abend fragte uns, was uns denn nach Klötze verschlagen hätte? Nachdem wir die Stadt gesehen hatten, fragten wir uns das auch. Eine reine „Schlafstadt“ für Leute, die in Wolfsburg oder anderswo arbeiten. Entsprechend war auch das Interesse an meiner Lesung, obwohl die sogar mit einem redaktionellen Beitrag in der Altmark Zeitung angekündigt worden war. Null, und mal wieder kam nur die Presse.

Die Fahrt nach Salzwedel, unserer letzten Station in Sachsen-Anhalt, erinnerte landschaftlich schon an Schleswig-Holstein – und das ist ja nun auch wirklich nicht mehr weit. Nun ist alles flach, und der Blick geht weit bis an den Horizont.

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Salzwedel. Was für eine hübsche Stadt.  Mit einer Furt an der Jeetzel fing um 800 alles an. 1247 „Gründung der Neuen Hansestadt  Salzwedel“. Salzwedeler Kaufleute werden auf Gotland handelsberechtigt und damit kommt der Handel richtig in Schwung. Ab 1270 wird die Jeetze als Schifffahrtsweg Richtung Hamburg und Lübeck genutzt, und das bleibt so für die nächsten 600 Jahre. Wenn man durch die Straßen geht, stößt man an jeder Ecke nicht nur auf wunderbar restaurierte Fachwerkhäuser, sondern auch auf eindrucksvolle Zeugnisse der langen Geschichte Salzwedels. Pars pro toto das Terrakottenhaus.

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Das ist ein 1722 erbautes Handelshaus. Die Terrakottareliefs stammen aus der Werkstatt des Stacius von Düren in Lübeck! Die gebrannten Tonplatten stellen 15 Reliefs modisch gekleideter Damen und Herren des 16. Jahrhunderts dar. Zwei, die mir besonders gefielen, habe ich per Zoom herangeholt.

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Morgen verlassen wir Sachsen-Anhalt und sind wieder im vertrauten Niedersachsen. Schon seit Magdeburg sprechen die Leute wieder so, dass ich sie verstehen kann, und sie gucken auch nicht mehr komisch, wenn ich tschüß sage.

 

Tag 29

7. Juli 2017 Klötze

Unsere Übernachtung in Klötze ist der Tatsache geschuldet, dass es hier gute Laufwege gibt und dass unsere „Schritte“ nicht größer als 30 km sein sollten, sonst gibt es wahrscheinlich (ich werde das noch überprüfen) über Klötze nicht viel zu sagen. Es liegt am nördlichen Rand des Drömlings, und die Fahrt hierher, auf kleinsten Straßen mitten durch den Drömling, bot wieder wunderschöne Aussichten in die Landschaft.

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In unserem Waldgasthof in Gardelegen gestern fand eine Hochzeitsfeier statt und verwandelte die sonst dort herrschende Waldesruhe bis spät in die Nacht in fröhliches Stimmengewirr mit musikalischer Untermalung. Was uns besonders (unangenehm) auffiel, dass immer mindestens die Hälfte dieser ländlichen  Hochzeitsgesellschaft draußen im Garten herumstand und rauchte, Frauen wie Männer.

Da passte es gut, dass niemand erschien, der etwas vorgelesen haben wollte. Aber die leitende Redakteurin der Altmark Zeitung besuchte uns, und wir hatten ein langes, intensives Gespräch mit ihr. Inzwischen sind wir auf die Standardfragen schon ganz gut vorbereitet und freuen uns, wenn Zeit ist, auch über die Hintergründe zu sprechen. Aber die Frage Nummer 1 ist auch die wichtigste: Warum machen Sie das? Für diejenigen, die diesen Blog nicht von Anfang an lesen, fasse ich die Antwort hier noch einmal kurz zusammen:

Wir machen „das“, weil wir unsere über 45jährige  Freundschaft mit etwas Besonderem feiern wollten und dabei unsere auseinander strebenden Interessen unter einen Hut bringen wollen – Heide will laufen, ich will schreiben; wir machen „das“, weil wir finden, dass wir gute Repräsentantinnen für ein verändertes Bild vom Alter sind (das dringend nötig ist); wir machen „das“, weil ich auf meinen Roman DIE BREITE DER ZEIT, der sich mit dem Thema Alter beschäftigt, aufmerksam machen möchte.

Vorläufiges Fazit: Es macht vor allem Spass, und wir können uns noch gar nicht vorstellen, dass in 10 Tagen alles vorbei sein soll. Wir sind inzwischen Meisterinnen im Ein-und Auspacken, im Kartenlesen, im Pfad finden (Heide) und im Wenden und Rangieren des Autos (ich).

Ein Spaziergang durch Klötze  bestätigt den ersten Eindruck: ein Städtchen, das wir schnell wieder vergessen werden – im Gegensatz zu Gardelegen mit seinen schönen Wallanlagen. Aber die Gardelegener waren im 16. Jhd. durch den Export von besonders gutem Hopfen und Harley-Bier reich geworden. Die Spuren dieses Reichtums sind dann auch 500 Jahre später noch zu finden. In Klötze fielen uns nur 2 Kuriositäten auf. Zum einen ein Haus mit der Aufschrift: Wilhelm Reich.

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Wir dachten natürlich gleich an die Organtherapie, aber der sachsen-anhalterische Namensvetter hatte mit dem  österreichischen Sexualforscher und Soziologen natürlich gar nichts zu tun. Man beachte den Punkt nach dem Namen. Die 2. Kuriosität entnehme ich der Altmark Zeitung, die die Tatsache kommentiert, dass es in ganz Klötze keine weiblichen Straßennamen gibt und dass das im Interesse der Gleichstellung doch geändert werden sollte.

 

 


			

TAG 28

7. Juli 2017 Gardelegen

Heute geht es um den Drömling. Noch nie gehört? Macht nichts. Er will entdeckt werden, denn er gehört eher zu den bescheidenen Schönheiten, die nicht viel Aufsehen von sich machen. Der Drömling ist ein 340 Quadratkilometer großer und wenig besiedelter Naturpark an der Grenze zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Einst ein Moor wird er heute auch Land der tausend Gräben genannt  und im Sommer (füge ich hinzu) kann man ihn auch Land der Milliarden Mücken nennen. Letzteres bewog Heide heute Morgen, ihren Lauf durch den Drömling abzubrechen. Wir sind auf den Drömling gekommen, weil unsere letzte Station, das verschlafene Calvörde, direkt am Drömling liegt. Eine entzückende Birkenalle führt direkt in das Herz des Drömlings.

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Der Drömling ist eine einzigartige und faszinierende Niederungslandschaft, in der alle möglichen Tiere leben, die anderswo schon ausgestorben sind – wie zum Beispiel der Biber. Interessant ist auch, dass der Drömling klimatisch eine verhältnismäßig trockene Region ist. Er bekommt im Durchschnitt im Jahr nur 600 mm Regen ab (der Durchschnittswert liegt sonst bei 750-800 mm), die Nässe kommt nicht von oben (die Region liegt im Regenschatten des Harz), sondern von unten. Das Grundwasser befindet sich hier auch in den oberen Bodenschichten, es strömt aus den umgebenden Hochlagen ein und ist damit ein wichtiges Entlastungsgebiet für den Mittellandkanal, der mitten durch den Drömling fließt. Es gibt Feuchtwiesen und Flachwasserzonen, Gräben über Gräben mit schmalen Brücken und immer wieder das Flüsschen Ohre, von dem schon die Rede war. Man kann stundenlang wandern und sich nicht sattsehen an den graziösen Pappelreihen auf den Dämmen entlang der Entwässerungsgräben, an dem schönen Wechsel von Bruchwald und Wiesen, an der in Licht und Schatten getauchten Weite, als hätte all das ein Landschaftsdesigner in Szene gesetzt. Als wir in Kämkerhorst  auf eine kleine Informationsstelle stoßen,  bedaure ich, dass ich besonders von der Tierwelt zu wenig weiß, um alles zu bemerken, was es hier zu sehen gibt.

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Noch etwas Interessantes: Im  Drömling, der übrigens auch das das größte Feuchtgebiet Deutschlands ist, verläuft die Elbe-Weser-Wasserscheide. Die durch die Niederung fließende und in die Elbe mündende Ohre entwässert nach Osten, die Aller berührt den Drömling nur, aber sie entwässert in die Weser. Zum ersten Mal ist mir ganz anschaulich, was eine Wasserscheide ist.

Unser heutiges Ziel ist die Hansestadt Gardelegen. Wir wohnen außerhalb im idyllisch gelegenen Lindenthal. Aber leider funktioniert das Internet nicht. Ich bin froh, wenn es mir gelingt, diesen Beitrag über LTE hochzuladen.

TAG 27

6. Juli 2017 Calvörde

Parallel zum Mittellandkanal bewegen wir uns gen Norden. Heide läuft heute auf einem namenlosen Weg am Kanal, aber weiter als Calvörde geht das nicht, dann müssen wir entschieden Kurs Nord nehmen, während der Mittellandkanal Richtung Westen fließt. Die endlosen Getreidefelder und die zahllosen Windparks der Magdeburger Börde liegen hinter uns, die Landschaft wird wieder abwechslungsreicher. Viel zu schnell bin ich mit dem Auto in Calvörde, und die Ferienwohnung (heute mal kein Landgasthof) ist noch nicht verfügbar. Ich fahre auf den Marktplatz in der Hoffnung, dort irgendwo Mittag essen zu können. Kopfsteinpflaster, junge Linden im Karré, eine unauffällige Kirche, ebenso unauffällige Häuserfronten, ein geschlossener Getränkemarkt, 3 parkende Autos, eins davon ist meins.

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Ich stehe also auf dem Marktplatz von Calvörde, es ist halb eins, die Sonne scheint , und es ist so still, dass ich höre, wie sich ein Lindenblatt vom Zweig löst und zur Erde segelt. Keine Stimmen, kein Motorengeräusch. Mittäglicher Stillstand. Diese Lautlosigkeit schlägt mich in ihren Bann, als wäre dies ein magischer Augenblick, den ich nicht auflösen darf. Ich bleibe stehen und bewege mich nicht, bis das Motorengeräusch eines näher kommenden Autos den Zauber löst.

Zehn Minuten später ist es klar, in Calvörde gibt es nichts zu essen. Aber ich habe 2 Empfehlungen, einmal ganz nahe einen Waldgasthof und 8 km weiter in Flechtingen. Der Waldgasthof hat Betriebsferien, und für Flechtingen warte ich auf Heide. Zusammen fahren wir nach Flechtingen, einem kleinen Luftkurort inmitten der dichten Wälder des Flechtinger Höhenzugs. Dort gibt es ein sehenswertes Wasserschloss, aber vor allem eine wunderschöne Terrasse über dem See (mit Blick auf das alte Gemäuer, das leider nicht zu besichtigen ist), auf der sehr schmackhafte Forellen serviert werden.

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Die Ferienwohnung erweist sich als sehr geräumig und bequem. Ich hoffe, potentielle ZuhörerInnen lassen sich von der privaten Adresse nicht abschrecken. Die Ankündigung einer Lesung steht inzwischen zuverlässig in den Tageszeitungen, aber mehr ZuhörerInnen als um einen Tisch passen, hatte ich bisher noch nie. Da haben wir auch heute Abend Platz genug. Einsame Landgasthöfe in winzigen Dörfern sind nicht gerade gute Leseorte. In Lüneburg werden wir das mal anders machen und im ersten Haus am Platz logieren.

Heide hatte gestern in Haldensleben Besuch von ihrem Bruder. Heute Morgen machten wir unser rituelles Abschiedsfoto nach demFrühstück auf seiner BMW R 1200 RT.

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Tag 26

5. Juli 2017 Haldensleben

Unsere geplante Luftlinie von Süd nach Nord, von München nach Lübeck, einfach gerade hoch durch das Land, bekommt immer mehr Ausbuchtungen, weil es dort, wo wir übernachten wollen, keine Unterkünfte gibt.  Statt Bleckede wird es nun am 14. 7. Lüneburg. Heide freut sich auf die Stadt, weil sie in Lüneburg studiert hat.

Heute sind wir  Haldensleben, einer Kreisstadt mit 20 000 Einwohnern. Durch Haldensleben hindurch fließt der Fluss Ohre (wer hat von dem schon mal gehört?). Haldensleben besitzt einen Binnenhafen. Wo? Direkt am Mittellandkanal. Heute bin ich bestimmt 6 Mal über eine der stählernen Brücken über den Kanal gefahren, weil ich auf der Suche nach dem Aller-Elbe-Radweg Zickzack gefahren bin. Ganz spannend, wenn man einen ausgewiesenen Radweg mit dem Auto fahren will. Ich war auf der Suche nach Heide, weil ich mir Sorgen um sie machte. Erst als sie schon losgelaufen war, stellte ich per Satellitenansichten fest, dass ihre Route über viel befahrene Straßen ohne separaten Radweg führte. Ich durchquerte Örtchen, deren Namen nicht mal auf den Radkarten verzeichnet sind, man findet sie nur im Internet: Samwegen, Jersleben, Vahldorf, Hillersleben u.s.w. Das Highlight war ein schnuckeliges Kirchlein in Jersleben. Ganz klein, aber perfekt.

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Nebenbemerkung: Seit wir protestantisches Gebiet durchqueren, halten wir wegen einer hübschen Kirche nicht mehr an. Sie sind – anders als die katholischen Kirchen – immer abgeschlossen.

Ich habe Heide nicht gefunden, aber mit Hilfe des Navi dann doch unser Hotel -– wo Heide schon auf mich wartete, verschwitzt, aber glücklich. Heute Morgen sind wir von unserem Hotel Löwenhof in Magdeburg in einem großen Bogen einmal um die Stadt gefahren auf der Suche nach dem Aller-Elbe-Radweg bei Wolmirstedt, wo sie starten wollte. Das Laufen (meist auf Fahrradwegen) erfordert eine ausgefeilte und zeitaufwendige Logistik. Hier in der Börde war es besonders schwierig.

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Tag 25

4. Juli 2017 Magdeburg

Unser Hotel am Jakobsberg lag außerhalb von Oschersleben und wird offenbar besonders von Rennfahrern frequentiert. Am Abend (18:30) hatten wir noch Lust auf einen Stadtbummel und ein Eis und fuhren die 4 km zurück. Parken war kein Problem, aber dann: nur gähnende Leere. Ein verlassener Marktplatz, einzige Lebewesen eine Rentnerin mit Hund, keine Eisdiele, keine Restaurants, keine Blumen, nur herabgelassene Jalousien. Als wir auf dem Weg zurück einen alten Mann fragen, wo denn wohl eine Eidiele sei, muss der lange nachdenken, bevor er sagt. „Eis? Der Asiate um die Ecke hat auch Eis.“ Oschersleben ist eine Stadt von knapp 20 000 Einwohnern. Wo sind die alle und was machen die abends?

Aber Magdeburg ist eine Entschädigung! Wenn man die Börse überwunden hat, trifft man auf eine moderne, lebendige Stadt, die zugleich großzügig und lauschig wirkt. Und dann natürlich der kolossale Dom und die Grüne Zitadelle, das Hundertwasserhaus, das man nur anschauen muss – und schon bekommt man gute Laune.

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Im Erdgeschoss sind ein Theater, Ein Restaurant und eine wohlsortierte Buchhandlung untergebracht.

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Als ich vor dem Dom stand und in die Höhe schaute, ereignete sich etwas Seltsames. Die schnell ziehenden Wolken schienen für einen Augenblick still zu stehen, und der Dom machte Anstalten, auf mich niederzustürzen. Es war bedrohlich. Ein Vexierbild.

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Der Reiseführer beschreibt den Dom zu recht als ein Denkmal europäischen Ranges.Drei Dinge zeichnen ihn aus: Otto der Große liegt hier begraben, es ist der erste gotische Dom auf deutschem Boden und es ist der größte Sakralbau Ostdeutschlands. Durch den Dreißigjährigen Krieg und die Reformation ging die mittelalterliche Ausstattung zum größten Teil verloren, aber einige Kunstwerke haben die Zeiten doch überdauert. Mich beeindruckte vor allem eine Sandstein-Skulptur aus der Mitte des 13. Jahrhunderts: das „Herrscherpaar“. Sie haben sehr realistische modern wirkende Gesichter. Der Mann sieht aus, als habe er es faustdick hinter den Ohren.

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Wir verweilten lange im Dom und haben doch lange nicht alles gesehen. Aber nach so viel steinerner Erhabenheit freute mich dann im Kreuzgang in einer Ecke eine ganz private Idylle. Vielleicht hat sich dort der Küster häuslich eingerichtet.

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